Die Sprachen des Archivs im Laufe der Jahrhunderte

Das Archiv in Straßburg ist wie die Straßburger. Sie lieben es zu reisen, reise, manchmal sehr weit, aber hier sind sie Zuhause, dhaam. Sie konnten sich nicht mit nur einer Sprache zufrieden geben, das wäre zu einengend gewesen...

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Ein Protokoll einer Zunft aus dem 18. Jahrhundert

Das Lateinische: das Archiv zur lateinischen Zeit

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Latein ist die gemeinsame und Prestige Sprache des Mittelalters

Im Mittelalter und bis zum siebzehnten Jahrhundert, ist die geschriebene Sprache und die Sprache der Kultur die gleiche in ganz Europa, das Latein, als mittelalterliches Latein oder Medio-Latein (Mittellatein) bezeichnet. Vor dem zwölften und dreizehnten Jahrhundert waren die anderen Sprachen, die Mundarten, in erster Linie gesprochene Sprachen. Allerdings gibt es auch Schriften in altem Französisch und mittelalterlichem Deutsch seit dem neunten Jahrhundert. Natürlich zeigt es sich in den Archivalien, die bis zum vierzehnten Jahrhundert überwiegend in lateinischer Sprache verfasst werden. Die kirchlichen Archivalien (Bistum, Klöster, katholische Kirchenbücher ...) sprechen bis zum zwanzigsten Jahrhundert fließend Latein. Also, doch nicht so tot, die lateinische Sprache!

Diese bedeutende Stellung des Lateinischen darf nicht die Realität der Epoche verbergen: Die Bevölkerung spricht Deutsch. Es ist ein lokales Deutsch, das man erst viele Jahrhunderte später Elsässische nennt. Nur die Elite der Gesellschaft, und in erster Linie die Kleriker beherrschen Latein und nur wenige sind in der Lage, es auch zu schreiben. Darin spiegelt sich ein weit verbreitetes Phänomen in Europa wider: Die Archivalien Straßburgs sind nicht notwendigerweise in der Sprache abgefasst, die von der Bevölkerung gesprochen wird.

Kompliziert? Nichts weniger war zu erwarten von Menschen, die einen so komplizierten Knoten geschaffen haben wie die Brezel! Darüber  kann man fast am Ende sein mit seinem ... Latein!


Das Deutsche, das Elsässische: die Bestände, germanisch im Herzen

Deutsch (Mittelhochdeutsch und Neuhochdeutsch) Sprechen Sie Deutsch?

Ab dem dreizehnten Jahrhundert werden die gesprochenen Sprachen, die Mundarten, zunehmend in die Schrift übernommen. In der jungen Verwaltung der Stadt Straßburg (freigelassen von ihrem Herrn, dem Bischof im Jahre 1262), ist es natürlich die deutsche Sprache, die allmählich gegenüber Latein die Oberhand gewann. Das Deutsche ist noch nicht vereinheitlicht, wie dies heute der Fall ist und umfasst viele lokale Besonderheiten, die als alemannisch einzuordnen sind. Tatsächlich ist Deutsch, in all seiner dialektalen Vielfalt, die Sprache der Mehrheit im Elsass seit der Ankunft der Franken und Alemannen im vierten und fünften Jahrhundert.

Aber das ist noch nicht das Ende der Geschichte! Im Herzen des Humanismus am Rhein ist Straßburg eine Heimat ersten Ranges der Entwicklung und der Verbreitung der deutschen Sprache ab dem späten Mittelalter bis zum achtzehnten Jahrhundert. Twinger von Königshofen, Brant, Fischart, Goethe, das ergibt ein schönes Bild! Logischerweise überwiegen die Archivalien in Deutsch bis zur Französischen Revolution und dann wieder von 1870 bis 1940. Und doch ist Straßburg nur von 1870 bis 1918 und von 1940 bis 1944 deutsch.

Tatsächlich, um es nicht noch komplizierter zu machen, sprechen die Archivalien nicht notwendigerweise die gleiche Sprache wie die Machthaber. Im Königreich Frankreich seit einem Jahrhundert spricht und archiviert Straßburg ungeniert in Deutsch am Vorabend der Revolution. In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen ist die Stadtverwaltung zweisprachig, obwohl sie französische ist und die Unternehmen und Privatpersonen drücken sich meist in Deutsch aus. Dies ist bis in die 1950er Jahre zu beobachten.

Das Elsässische und die anderen germanischen Dialekte: Redde-n-ìhr Elsässisch? Jìddisch?

Bis zum neunzehnten Jahrhundert sagte man einfach über das Elsässische, es sei eine deutsche Mundart, Ditsch. Mit der Entstehung der Vorstellung der elsässischen Identität nach 1870 hat man begonnen, es Elsässisch oder Elsässerditsch zu nennen: "Elsässisch". Das Elsässische ist in der Tat ein germanischer Dialekt und noch genauer in Straßburg, ein alemannischer Dialekt (von den Alemannen kommend), gefärbt mit Fränkisch (von den Franken kommend). Wenn man hinzufügt, dass der Straßburger Dialekt viele französische, jiddische, englische und sogar italienische Ausdrücke enthält, ist es schnell klar, dass es sich um einen hübschen Flickenteppich handelt.

Vor allem eine mündliche Sprache, ist das Elsässische schriftlich nur in den Archivalien in einigen Schriftarten vorhanden und nur ab dem neunzehnten Jahrhundert. Man findet es auf Plakaten, insbesondere auf politischen Plakaten, in Anzeigen oder in Informationsunterlagen für die breite Öffentlichkeit (oft als Ersatz für das Standarddeutsch) und in  künstlerischen Beständen (Theater, Kabarett, Dichter ...). Das Elsässische bleibt meist auf eine künstlerische, humoristische und kommunikative Rolle oder die der Anrede oder der Provokation beschränkt. Die Stellung des Elsässischen in den Archivalien ist daher nicht repräsentativ für seinen Platz in der Gesellschaft, da es auch heute noch von der Mehrheit der elsässischen Bevölkerung gesprochen oder verstanden wird.

Manchmal finden sich Dokumente in Minderheitensprachen, aber tief in der Region verwurzelt, wie das Jüdisch-Elsässische, eine lokale Form des Jiddischen.

Nach dem Trauma des Zweiten Weltkrieges erlischt in Straßburg die Leidenschaft für die deutsche Sprache. Die deutsche Sprache sieht sich dem Angriff einer Rivalin gegenüber, die scheu einige Jahrhunderte zuvor aufgetaucht ist: die französische Sprache.

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Im 20. Jahrhundert benutzt man Elsässer Deutsch um sich von der Bevolkerung verständlich zu machen.


Das Französische: das Archiv nach Pariser Art

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Öffentliche Zweisprachigkeit

Die französische Sprache und Straßburg, das ist in erster Linie die Geschichte von zwei Fremden. In den mittelalterlichen Archivalien gibt es nur ab und zu eine Spur von Dokumenten in Französisch, je nach den Beziehungen der Stadt mit ihren französischsprachigen Gesprächspartnern. Aber mit der protestantischen Reformation im sechzehnten Jahrhundert schafft sich die französische Sprache einen Platz in der Stadt in der Pfarrgemeinde der französischsprachigen protestantischen Flüchtlinge, deren Pfarrer während ein paar Jahre Calvin ist.

Ab dem Anschluss an das Königreich Frankreich (1681), wird die Bedeutung des Französischen in Straßburg immer stärker. Zunächst ist dieses Wachstum nur gering, dann wird es allmählich stärker durch die internationale Ausstrahlung des Französischen und seine Nutzung durch die Elite Straßburg. Die französische Sprache drängt sich ab der französischen Revolution bis 1870 neben dem Deutschen auf und dann wieder in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Man kann zu diesem Zeitraum von zweisprachigen Archivalien sprechen, da die beiden Sprachen nebeneinander existieren, oft zu gleichen oder vergleichbaren Teilen in den Akten und sogar auf einem einzigen Dokument (Plakate, Formulare ...).

Dennoch spricht die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung Deutsch (Elsässisch oder Standarddeutsch) bis in die 1950er Jahre. Von diesem Moment wird Deutsch immer weniger verwendet und an seine Stelle tritt das Französische, das zur bevorzugten Schriftsprache wird, aber nicht ausschließlich, von Verwaltung, Unternehmen und Privatpersonen, und Deutsch seinen reduzierten Platz eher in der gesprochenen Sprache findet.

Heute sind mehr als 95% der aufgenommenen zeitgenössischen Archivalien jedes Jahr auf Französisch verfasst. Aber diese quasi-Vorherrschaft verhindert nicht die Entfaltung einer sehr reichen sprachlichen Vielfalt


Ein wenig exotisch: die Bestände der Klasse "Grand Voyageur"

Seit dem Mittelalter unterhält Straßburg Beziehungen mit ganz Westeuropa, von Skandinavien bis Italien. Das Archiv bewahrt daher Dokumente auf, manchmal sehr alt, auf Niederländisch, Englisch, Italienisch, in den slawischen Sprachen... Nach dem Zweiten Weltkrieg wird Straßburg, europäische Hauptstadt, in der ganzen Welt bekannt auf verschiedene Arten (Konferenzen, Städtepartnerschaften, kulturelle Veranstaltungen...). Die in allen Sprachen verfassten Dokumente kommen nun in Straßburg zusammen und gehen in fine im Archiv ein. Griechenland, Japan, Amerika, Südafrika: die Archivalien des einundzwanzigsten Jahrhunderts kennen keine Grenzen mehr und versammeln die Sprachen von hier und dort, vùn do ùn dert.